PM 05/2025: Globales Lernen braucht historische Verantwortung

Fri, Jun 13, 2025 Pressemitteilung

Kolonialismus

Stellungnahme des Eine-Welt-Landesnetzwerks MV: Koloniale Kontinuitäten ernst nehmen – Globales Lernen braucht historische Verantwortung

Rostock. Das Eine-Welt-Landesnetzwerk Mecklenburg-Vorpommern kritisiert die einseitige und verharmlosende Darstellung von Kolonialverbrechen durch den ehemaligen Landesminister Mathias Bordkorb in einem Gastbeitrag mit dem Titel „Postkoloniale Skrupel? Wenn man es mit der historischen Wahrheit nicht so genau nimmt“ vom 27. Mai im Nordkurier. Bordkorbs aktuelles Buch „Postkoloniale Mythen“, ist Anfang Mai erschienen. Seine zentrale These: In Museen wie dem Grassi Museum für Völkerkunde in Leipzig oder dem MARKK, Museum am Rothenbaum, Kulturen und Künste der Welt, Hamburg, früher Museum für Völkerkunde, würden postkoloniale Mythen produziert, nach denen Weiße ausschließlich Täter und Schwarze unschuldige Opfer seien. Die Museen postulierten „die alleinige Schuld des weißen Mannes am Unbill der Weltgeschichte.“

Alexandra Pencov arbeitet als Eine-Welt-Fachpromotorin für Globales Lernen in Rostock.  Für sie ist der Beitrag ein Beispiel für die aktuelle Debatte. Das oft wiederholte Argument: „Die deutsche Kolonialzeit dauerte doch nur 35 Jahre.“ Doch koloniale Ausbeutung habe  sich durch Wissenschaft, Wirtschaft, Mission und Sammlungspraxen fortgesetzt.

Dass Museen heute bestimmte Objekte anders präsentierten oder nicht mehr ausstellten, bedeute das nicht, dass Geschichte verschwiegen werde. Im Gegenteil: Sie werde neu erzählt – aus mehreren Perspektiven, mit mehr Kontext, kritischer und gerechter. Das sei ein zentraler Lernprozess im Globalen Lernen: erkennen, dass Erinnerungspolitik nicht neutral ist, sondern immer auch eine Frage von Macht, Verantwortung und Perspektive. 

Das sieht auch Sabina von Kessel so, die lange in der Entwicklungszusammenarbeit in Asien und Südafrika gearbeitet hat und mittlerweile in Malchin entwicklungspolitische Bildungsarbeit macht: „Als Studentin an der Kunsthochschule Hamburg radelte ich täglich am Museum für Völkerkunde vorbei – ein Ort, der in meiner Wahrnehmung lange kein „Fenster zur Welt“, war, wie Bordkorb es idealisierend nennt. Denn hinter den Vitrinen lagerten Masken, Plastiken und Objekte, die ohne historischen Kontext präsentiert wurden. Uns Studenten war damals schon klar: „Es ist alles nur geklaut. Was wir damals ahnten, ist heute belegt: Viele dieser Objekte wurden gewaltsam geklaut wie etwa die berühmten Benin-Bronzen. Das Königreich Benin wurde 1897 durch britische Truppen komplett zerstört und die geraubten Bronzen geuropäische Museen verschleppt. Die Geschichte ihrer gewaltsamen Aneignung ist nicht nebensächlich, sie ist zentral.“ 

Sie schätzt die Arbeit des nigerianischen Kurators und Künstlers Enotie Paul Ogbebor, der die Benin-Bronzen neu konzeptualisiert, also eingeordnet habe, um die komplexe soziale Struktur des vormodernen Königreichs Benin sichtbar zu machen. Solche Perspektiven bereicherten nicht nur die museale Praxis, sie seien ein unverzichtbarer Beitrag zur entwicklungspolitischen Bildungsarbeit: „Die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus gehört zu unseren wichtigsten Bildungsaufgaben. Seine Folgen sind bis heute spürbar – in globalen Machtverhältnissen, eurozentrischen Weltbildern, rassistischen Stereotypen und nicht zuletzt in unserem Sprachgebrauch. Während der Nationalsozialismus einen festen Platz in der deutschen Erinnerungskultur einnimmt, bleibt der Kolonialismus vielfach eine Leerstelle. Doch wer über gerechte globale Beziehungen sprechen will, darf diese Vergangenheit nicht ausklammern.“

Auch in der Bildungsarbeit zu Kolonialismus in Mecklenburg-Vorpommern – zum Beispiel mit der Initiative Rostock Postkolonial – zeige sich immer wieder, wie wichtig es sei, Geschichtsbilder zu hinterfragen, sagt Alexandra Pencov. Mecklenburg-Vorpommern trage koloniale Spuren in Straßennamen, Sammlungsgeschichte und Stadtbildern. Es brauche Räume für Diskussionen darüber. „Globales Lernen muss auch historisches Lernen sein. Nicht, um Schuld zu verteilen – sondern um Verantwortung zu übernehmen“, sagt sie. 

V. i. S. d. P.: Andrea Krönert